Janis wurde 1991 ohne Arme und Beine geboren. Seine sehr seltene Fehlbildung wird
Tetraamelie genannt. Dahinter verbirgt sich ein genetischer Defekt, der die Ausbildung der
Extremitäten bereits während der embryonalen Entwicklung verhindert. Seine leiblichen Eltern
waren überfordert und suchten nach Adoptiveltern für ihren Sohn. Janis wuchs in seiner neuen
Familie mit zwei Geschwistern auf. In den ersten Lebensjahren war er sich seiner schwierigen
Situation nicht bewusst. Er spielte im Sandkasten. Mit 19 Monaten bekam er einen elektrischen
Rollstuhl, den er selbst steuerte. Er lernt, ohne Hände zu schreiben, zu essen und zu trinken.
Sein Mund ersetzt die Finger. Er besucht eine Waldorfschule, spielt das Waldhorn und möchte
als Junge Motorradpolizist werden, mit seinem heißen Ofen Verbrecher jagen. „Eigentlich hätte
es immer so weitergehen können.“
Dann gab es aber doch den Moment, der ihm so unvermittelt klar machte, dass er anders ist:
Janis war acht Jahre alt, es war morgens, kurz vor der Schule. „Wir hatten verschlafen und waren
etwas in Eile. Ich hüpfte durch unseren Hausflur und plötzlich sah ich mich im neuen
Garderobenspiegel. Ich war erschrocken, denn plötzlich realisierte ich zum ersten Mal, wie ich
aussehe. Ich hatte immer ein ganz anderes Bild von mir im Kopf. Ich fand das ziemlich
schrecklich.“ Er sah im Spiegel einen behinderten Fremden, der nur aus Rumpf und Kopf
besteht. „Mann, siehst du bescheuert aus!“, hat er gedacht. „Ich habe mich geschämt.“ Weil es so
lächerlich aussah, wie er sich bewegte. Die Art, wie er die Treppe heruntergehüpft kam.
Schrecklich. 1000 Fragen schossen durch seinen Kopf: „Was sollen meine Eltern von mir
denken…Ich sitze ja wie ein Baby auf dem Boden.“ So wollte er nicht sein. Von da an hat er
einen Kampf gegen sich selbst geführt. Ein Kampf, den er mit sich selbst ausgemacht hat. Er
sprach mit niemandem darüber. Versteckte sich. Zog sich zurück.
Eines Tages, er ist fast 20 Jahre alt, versteht er, dass die Außenwahrnehmung und seine Scham
ihn nur noch mehr einschränken, dass er sich damit selbst zerfleischt und einengt und seine
schlechte Laune seine Situation auch nicht ändert. „Ich könnte mich über vieles aufregen. Aber
es würde mich nicht weiterbringen.“ Wie oft sagte er sich: „Das schaffe ich nicht“. Der Blick auf
sein Leben war auf die Defizite konzentriert. Bis er angefangen hat wahrzunehmen: „Was kann
ich eigentlich? Kann ich mich so annehmen, wie ich bin?“ Behindert zu sein macht oft keinen
Spaß. Janis Mc David will keinen Dreckhaufen mit Zuckerguss übergießen. Es geht nicht darum,
etwas schön zu reden. „Mir geht es darum, dass wir endlich wieder verstehen, dass genau das
das Leben ist: es passiert etwas mit uns und mit anderen. Jeden Tag. Mal ist es einfach zu
nehmen und mal stellt es uns irre auf die Probe. …Wenn alles, was ich mir aufgebaut habe
zusammenbricht? Dann ist das meine Lebensrealität. Dann ist das die Wahrheit, die Grundlage,
der Boden auf dem ich stehe. Von dem aus ich weiter gehe. Wohin auch immer.“ ¹
Wenn man Janis heute fragt, was er sich wünschen würde, wenn er einen Wunsch frei hätte?
„Selbst wenn es die Möglichkeit gäbe, mir Arme und Beine anwachsen zu lassen, würde ich es
ablehnen.“ Er vermisse seine Arme und Beine nicht. „Ich habe nicht das Gefühl, inkomplett zu
sein. Mir wurde ja nichts amputiert, sondern ich bin so auf die Welt gekommen.“
Ob er sich jemals gefragt habe: „Warum ich? Warum so?“ antwortet er: „Nur als Kind. Und meine
Eltern hatten eine ziemlich geniale Antwort. Sie sagten: ‚Jeder Mensch hat seine Aufgabe auf
dieser Welt. Mit deinem körperlichen Handicap ist ganz offensichtlich auch eine Aufgabe
verbunden – es liegt an dir, herauszufinden, welche das ist.‘ Dabei bin ich gerade.“
Ich wünsche uns, dass uns die Lebensgeschichte von Janis McDavid ermutigt, unseren Blick
nicht nur die Defizite in unserem Lebens zu richten. Sondern wahrzunehmen, dass das Leben
sich nicht gegen uns verschworen hat. Und wir trotz allem ein „Ja“ zu unserem Leben finden
können.
Pfingsten bedeutet: Gott bleibt bei seinem Versprechen, mit uns durch Dick und Dünn zu gehen.
„Und ob ich schon wanderte durchs dunkle Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir!“
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest.
Seien Sie herzlich gegrüßt!
¹ https://www.janis-mcdavid.de/blog/der-garantiert-coronafreie-jahresrueckblog
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