Gedanken des Seelsorgers zur aktuellen Lage

Ein Mann geht frühmorgens im Nebel aufs Eis, um zu angeln. Er will sich gerade ein Loch hacken, da hört er eine tiefe Stimme von oben: „Hier gibt es keine Fische!“ Er wundert sich und denkt, er habe das nur geträumt, und hackt weiter. Wieder kommt die Stimme: „Hier gibt es keine Fische!“ Diesmal ist er sich sicher: Das war keine Einbildung! Und ganz zaghaft wendet er seinen Kopf gen Himmel und fragt: „Herr, bist du es?“ „Nein“, antwortet die Stimme, „ich bin der Sprecher des Eisstadions!“

Manchmal kann das Leben ziemlich ernüchternd sein. Gespickt mit Enttäuschungen. Und wir stehen vor Herausforderung, mit dem Undenkbaren, dem Unvorstellbaren zurechtkommen zu müssen. Uns in dem Durcheinander zurechtzufinden. Das Unbegreifliche begreifbar machen. Das war auch damals die schwere Aufgabe der Menschen nach der Katastrophe in der Hauptstadt Israels. In Jerusalem. Im Jahre 587 vor Christus wird die Stadt zerstört. Menschen kommen ums Leben. Auch der Tempel liegt in Trümmern. Eine Ruine. Wie konnte das passieren? Wo ist Gott? Warum hat er diesen undenkbaren Super GAU nicht verhindert? Ein Prophet namens Jeremia versucht sich einen Reim auf diese Geschichte zu machen. Er fahndet nach Gott. Er durchsucht die Verheißungen. Er gräbt nach Gott in jedem Haufen Asche. Aber nichts spricht mehr. Was bleibt, ist ein stummer Schrei¹: „Gott, du hast mir meinen Seelenfrieden genommen! Ich habe vergessen, was Glück ist. Da dachte ich: Meine Zeit ist vorbei. Meine Hoffnung auf Gott dahin. Der Gedanke an meine Not und Verlassenheit macht mich bitter und vergiftet mein Leben!“² Der verzweifelte Mensch findet für seine Klage einen Adressaten: Er wendet sich an Gott. Und er besinnt sich auf die uralten Worte des Glaubens. Er klammert sich und Gott an die vertrauten, oft unverstandenen, aber bergenden Worte, die bis in die Kindheit reichen: Gnade und Güte. „Doch das will ich mir zu Herzen nehmen. Die Güte Gottes ist nicht am Ende, seine Umarmungen hören nicht auf.“ Er buchstabiert sich zurück zu dem Gott, der einst die Freiheit schenkte. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. »Der Herr ist alles für mich! Deshalb setze ich meine Hoffnung auf ihn.«

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist was es ist, sagt die Liebe.

Es ist Unglück, sagt die Berechnung.
Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht
Es ist was es ist, sagt die Liebe

Es ist lächerlich, sagt der Stolz.
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung
Es ist was es ist, sagt die Liebe.³ 

Walter Kohl, der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers, gibt in einem Interview Einblick, was ihm in einer tiefen Lebenskrise geholfen hat: „Wenige Tage nach dem Tod meiner Mutter fragte mich mein damals fünfjähriger Sohn im Auto auf der Fahrt zum Kindergarten aus heiterem Himmel: »Papa, ist das Leben schön?« Diese Frage hat mich zunächst erschüttert, dann aber aufgerüttelt und gezwungen, mir selbst gegenüber ehrlich zu werden und Hilfe zu suchen.“ 

Er stieß bei seiner Suche nach dieser Hilfe auf den Arzt und Psychiater Viktor Frankl. Der betont die »Trotzmacht der Seele«. Was einem in schwierigen Zeiten Lebensmut und Zuversicht vermitteln kann, das hat er in seinem eigenen Erleben und beruflichen Denken wie kein Zweiter ausgelotet: Während des Zweiten Weltkriegs wurde der jüdisch stämmige Frankl von den Nazis deportiert und musste drei lange Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern überstehen. Diese schwere Zeit hat ihn zwar gezeichnet, aber nicht gebrochen. „Trotzdem Ja zum Leben sagen“, so lautet der Titel seines Buches, in dem er seine Zeit im KZ verarbeitet. Darin stellt er die kühne These auf, dass dem Menschen selbst im Leiden und Sterben eine innere Freiheit bleibt. Zumindest Einzelne, so schreibt er, hätten immer wieder unter Beweis gestellt, „dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Trotz Hunger und Schlafdefizit, unmenschlicher Behandlung und ständiger Angst vor dem Tod habe man noch „irgendwie entscheiden“ können, ob man auch unter diesen Umständen ein Mensch bleibt und die Menschenwürde bewahrt. Und nicht nur das: Die geistige Freiheit lasse einen auch noch bis zum letzten Atemzug Gelegenheit finden, sein Leben sinnvoll zu gestalten.“⁴ Er malt sich z.B. aus, wie er in der Zukunft einmal vor einem aufmerksamen Publikum „in einem hell erleuchteten, schönen und warmen, großen Vortragssaal am Rednerpult steht und von seinen Erfahrungen im Konzentrationslager berichtet. Solche Gedankenspiele sind mehr als eine Flucht aus dem entsetzlichen Alltag. Sie sind auch eine Möglichkeit, selbst unter so menschenunwürdigen Zuständen dem Leben einen Sinn zuschreiben zu können. Und das, so beobachtet Frankl, ist eine wichtige Überlebensstrategie.“⁵ 

Bei Walter Kohl war es neben dieser „Trotzmacht der Seele“ auch die die Wiederentdeckung seines Glaubens, die ihm viel Kraft geschenkt hat: „Die Beziehung zu Gott gibt mir das Vertrauen, dass letztlich alles – auch alles Schwere, das ich erlebt habe – in einer größeren Beziehung aufgehoben und geheilt ist. …“

Ich wünsche uns diese „Trotzmacht des Glaubens“. Den Mut und die Zuversicht in allen möglichen Wirrnissen des Lebens nicht zu resignieren. Dass wir miteinander lernen zu vertrauen, selbst wo alles verloren erscheint oder uns die Kraft schwindet. Dass wir unsere Klage, unsere Fragen an Gott richten. Uns an die vertrauten und bergenden Worte klammern: „Die Güte Gottes ist nicht am Ende, seine Umarmungen hören nicht auf!“

Seien Sie gesegnet! 

Ihr Seelsorger
Wolfgang Klimm

¹ predigten.evangelisch.de
² Klagelieder Kapitel 3 Verse 17 – 19
³ Erich Fried: www.deutschelyrik.de
⁴ Schnabel, U.: Zuversicht, S. 176
⁵ a.a.O. S.180

Pastor Wolfgang Klimm

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