Gedanken des Seelsorgers zur aktuellen Lage

Der Sänger Adel Tawil greift in einem seiner Lieder eine grundlegende Frage auf, die sich uns in schwierigen Zeiten stellt:  

„Wenn der Himmel ohne Farben ist, schaust du nach oben und manchmal fragst du dich: Ist da jemand, der mein Herz versteht? Und der mit mir bis ans Ende geht?
Ist da jemand, der noch an mich glaubt? Ist da jemand? Ist da jemand?
Der mir den Schatten von der Seele nimmt? Und mich sicher nach Hause bringt?
Ist da jemand, der mich wirklich braucht? Ist da jemand? Ist da jemand?“

„Wenn die Faust des Universums zuschlägt“ – so lautet der Titel des sehr persönlichen Buches von Johannes Wimmer, einem Mediziner aus Hamburg. Darin gibt er einen bewegenden Einblick, wie er zusammen mit seiner Frau Clara wenige Monate nach der Geburt der Tochter Maxi um ihr Leben kämpfen. Und wie sie diesen Kampf verlieren und die Tochter an einem bösartigen Hirntumor nach mehreren Operationen stirbt. Er beschreibt, was ihm geholfen hat, von der „Faust des Universums“ nicht erdrückt zu werden. 

Dieses unberechenbare Schicksal ist ihm in verschiedenen Episoden seines Lebens bereits begegnet. Er erinnert in einzelnen Rückblenden an markante Erlebnisse. Z.B. als er kurz vor seinem fünften Geburtstag plötzlich seinen Vater verliert: Er muss mit ansehen, wie seine Mutter verzweifelt über den am Boden liegenden und blutüberströmten Vater gebeugt ist. „Ich drehe mich um, stürze zur Balkontür und drücke mein Gesicht gegen die Scheibe, die Hände am Kopf, so als würde ich rausschauen wollen. „Das ist nicht passiert. Das ist nicht passiert“, flehe ich immer und immer wieder durch die Scheibe. Ich möchte irgendwas für meine Eltern tun. Irgendwas. Aber ich spüre, dass ich nichts tun kann. Nichts. Eine gewaltige Hand hält mich umschlossen und drückt immer fester zu. Ohne Unterlass, ohne Erbarmen…Mit völlig trockenem Mund schlucke ich die bittere Erkenntnis, dass ich völlig hilflos bin.“¹

In einem Interview wurde er vor kurzem gefragt, welchen Anteil dieses Erlebnis hatte, dass er Medizin studierte: „Schwer zu sagen. Wenn man den Vater so früh verliert, ist ein Teil der Kindheit vorbei…irgendwie hatte ich da einen inneren Antrieb, eine Glut in mir, ich wollte nie wieder so hilflos sein wie damals.“² 

Wie sie als Ehepaar die erneute Hilflosigkeit angesichts des Todes ihrer Tochter durchleiden und gemeinsam bewältigen, ist zutiefst beeindruckend. Sie erleben in ihrer tragfähigen Beziehung, was der Sänger Tawil am Ende seines Liedes textet: 

»Da ist jemand, der dein Herz versteht und der mit dir bis ans Ende geht … Der dir den Schatten von der Seele nimmt und dich sicher nach Hause bringt. Immer wenn du es am meisten brauchst. Dann ist da jemand!«

Das Schicksal mutet uns offensichtlich manchmal sehr heftige Umbrüche bzw. Umwege zu. Lebenspläne werden durchkreuzt, wie bei Johannes Wimmer. Hoffnungen zerbrechen und das Leben verändert sich auf eine Art und Weise, wie wir es uns niemals vorstellen konnten.

Eigentlich haben wir ganz andere Pläne für unser Leben geschmiedet. Für unsere Zukunft geträumt. Und dann kommt es ganz anders und wir kommen uns vor wie in einem falschen Film.

Jemand hat diese einschneidenden und unberechenbaren Erfahrungen, wenn unsere Lebenspläne über den Haufen geworfen werden, mit einer verunglückten Reise verglichen:

Stellen Sie sich vor, Sie planen eine fantastische Reise nach Italien. Sie kaufen eine Menge an Touristenführern und macht wundervolle Pläne: Das Kolosseum, den Michelangelo, David, die Gondeln in Venedig. Sie lernen auch ein paar Sätze auf Italienisch. Sie freuen sich auf eine sehr schöne Zeit.
Nach einigen Monaten der intensiven Vorbereitung ist endlich der große Tag da! Sie packen Ihre Koffer! Einige Stunden später landet das Flugzeug. Der Pilot grüßt sehr freundlich über den Lautsprecher: “Willkommen in Holland”.
“Holland? Wie bitte? Ich habe doch einen Urlaub nach Italien gebucht! Ich sollte doch in Italien sein. Mein ganzes Leben habe ich davon geträumt, nach Italien zu fliegen!”
Aber es gab eine Flugplanänderung. Der Flieger ist in Holland gelandet und Sie müssen nun wohl oder übel vor Ort bleiben. 

Nach der ersten Enttäuschung und dem Ärger fangen Sie an und besorgen neue Touristenführer. Sie müssen eine völlig neue Sprache lernen. Sie treffen auf Menschen, die Sie vielleicht niemals kennen gelernt hätten, wenn die Dinge anders gelaufen wären.
Nach einiger Zeit beginnen Sie sich umzuschauen und bemerken: Holland hat interessante Windmühlen. Holland hat Tulpen. Holland hat sogar Rembrandt. 

Vielleicht erhellt eine Aussage von Albert Camus noch etwas besser diesen Blick auf unerwartete Lebensveränderungen und Schwierigkeiten: Er hat wie kaum ein anderer das Leben in seinen Tiefen ausgelotet. Er hat erlebt, wie Beziehungen zerbrechen, wie Leben erstarren kann, wenn der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Wenn das Kind stirbt. Und er kam zu dem Schluss: Es macht keinen Sinn, wenn Menschen leiden. Es gibt keine höhere Gerechtigkeit. Dieses Leben ist und bleibt absurd. Und trotzdem hat er den ermutigenden Satz formuliert: „Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.“

Offensichtlich gibt es keine Absicherung gegen die „Faust des Universums“ oder wie man auch immer die unterschiedlichsten Schicksalsschläge benennen mag. Aber in allen Unwägbarkeiten des Lebens können wir die Erfahrung machen, dass da “jemand ist, der dein Herz versteht und mit dir bis ans Ende geht!“ Wie gut, wenn dies verständnisvolle Menschen sind, die es bei Ihnen in solchen Krisenzeiten aushalten. 

Gott verspricht mit seinem Namen „Jahwe“, dass er in jeder Lebenssituation bei Ihnen und für Sie ist. So beschreibt es auch ein Beter in dem bekannten Psalm 23 mitten in einer unerwarteten und schwierigen Lebenssituation: „Und muss ich durch ein finsteres Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist an meiner Seite! Dein Stock und dein Stab schützen und trösten mich.“ 

Diese Erfahrung wünsche ich Ihnen in diesen anstrengenden Tage!

Seien Sie gesegnet! 

Ihr Seelsorger
Wolfgang Klimm

¹ Wimmer,J.: „Wenn die Faust des Universums zuschlägt“ S.18f
² Süddeutsche Zeitung Nr.11, 15./.16. Januar 2022; S. 52

Pastor Wolfgang Klimm

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