Gedanken des Seelsorgers zur aktuellen Lage

Vor kurzem bin ich über eine Geschichte gestolpert, die mich in diesen unruhigen Zeiten ermutigt hat. Aber lesen bzw. hören Sie selbst:

„Ein Vater und seine Tochter umarmten sich innig und herzlich am Flughafen.
Beide wussten nicht, ob sie sich noch einmal wiedersehen würden. Und wenn doch, wann das sein würde. Der Vater war schon sehr alt und eine schwere Krankheit plagte ihn. Die Tochter war vor vielen Jahren mit ihrem Mann nach Australien ausgewandert. Sie konnte also nicht so oft zu Besuch kommen.

Schließlich wurde es Zeit für die Tochter in das Flugzeug einzusteigen.
„Ich liebe dich! Ich wünsche dir ausreichend!“, sagte der Vater zu seiner Tochter.
„Ich liebe dich auch, Papa. Ich wünsche dir auch ausreichend!“

Ein Passagier, der in der Nähe stand, war über diese Unterhaltung erstaunt. Er traute sich nach dem Abschied den Vater zu fragen, was das zu bedeuten hätte, wenn sie einander „ausreichend“ wünschten. 

„Das ist ein Wunsch, der in unserer Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde“, antwortete der Mann.

„Es bedeutet: Ich wünsche Dir ausreichend Sonne, damit Dein Leben hell sein möge.

Ich wünsche Dir ausreichend Regen, damit Du die Sonne schätzen kannst.

Ich wünsche Dir ausreichend Glück, damit Du Deine Liebe wahren mögest.

Ich wünsche Dir ausreichend viel Sorge, damit selbst kleine Freuden Dir groß vorkommen mögen.

Ich wünsche Dir ausreichend viel Gewinn, damit Du alles bekommen mögest, was Du brauchst.

Ich wünsche Dir ausreichend viel Verlust, damit Du alles, was Du hast, schätzen kannst.

Ich wünsche Dir, dass Du ausreichend oft willkommen geheißen wirst, damit Du Dich geborgen und geliebt fühlst.“

Wie hört sich dieses „ausreichend“ für Sie an? Als Schulnote ist „ausreichend“ nicht ganz so beliebt. Wir streben eher ein „gut“ oder noch besser ein „sehr gut“ an.

Wenn wir aber nicht mehr sicher sagen können, wie unsere Lebensgeschichte weitergeschrieben wird. Wenn wir verunsichert sind, uns sogar machtlos fühlen und uns förmlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Plötzlich nichts mehr so ist, wie es war. Dann wünschen wir uns in diesen Unwägbarkeiten der aktuellen Zeit ein „ausreichend“: Ausreichend Kraft für heute. Ausreichend Luft zum Atmen. Ausreichend Wärme. Ausreichend freundliche Menschen in meiner Nähe…

Dies wurde mir auch bei der Geschichte von einer syrischen Frau während der tragischen Flutkatastrophe im Ahrtal im letzten Jahr deutlich: Sie war aus dem vom Krieg in Syrien zerstörten Aleppo geflohen. Sie hatte keine Perspektive mehr und fand Zuflucht im Ahrtal. Nach einiger Zeit gelang es ihr dort Fuß zu fassen. Sie konnte ein kleines Kosmetikstudio eröffnen und damit für ihren Lebensunterhalt sorgen. Aber dann kam die Flut und machte diesen zarten, hoffnungsvollen Neubeginn zunichte. Sie musste wieder bei null anfangen. Wie dankbar wäre und war diese Frau mit dem „ausreichend“. Es ist erschreckend, was manchen Menschen zugemutet wird.

Es gibt eine »Würde der Untröstlichkeit«, wie es Fulbert Steffensky einmal formulierte. Eine Würde, die sich nicht so einfach hinwegtrösten lässt. Die die Frage offen hält, die sich in jeder Form von Leid oder Schmerz stellt. Wir wissen im Grunde nicht, warum das Leben manchmal so ungerecht ist. Warum guten Menschen Böses widerfährt. 

Vielleicht kann uns ein Erlebnis der Jünger von Jesus ein bisschen Trost vermitteln: Jesus fordert seine Leute nach einem anstrengenden Tag auf, mit ihm in See zu stechen: „Wir wollen ans andere Ufer fahren!“ Und nachdem sie einige Zeit mit dem Boot unterwegs sind, schlägt das Wetter um: „Plötzlich brach ein heftiger Sturm los; die Wellen schlugen ins Boot, und es begann sich mit Wasser zu füllen.“ Die Stimmung bei den Jüngern kippt. Panik macht sich breit. Das Boot füllt sich bedrohlich mit Wasser. Es droht zu kentern. Die Jünger fragen sich: „Wieso sind wir überhaupt mit dem Boot gefahren? Hätte Jesus nicht wissen können, dass das Wetter umschlägt? Wo ist er überhaupt…? Jesus aber schlief im hinteren Teil des Bootes auf einem Kissen. Die Jünger weckten ihn und schrien: »Meister, macht es dir nichts aus, dass wir umkommen?«

Ist das nicht der Hammer? Alle sind am Kämpfen und versuchen heil aus der lebensbedrohlichen Situation heraus zu kommen. Und Jesus verschläft die Katastrophe. Der hat die Ruhe weg, oder? Ist das nicht auch manchmal unser Eindruck, wenn uns das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht: „Wo ist eigentlich Gott in diesem ganzen Schlamassel? Warum lässt er das zu? Warum macht der nichts?“

Als die Jünger Jesus wachgerüttelt haben, steht er auf, „bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille.“

Manche Stürme lassen sich leider nicht so einfach stumm schalten. 

Aber was diese Geschichte uns in unserem aktuellen Sturm vermitteln kann: Gott ist mit in unserem Lebensboot. Wir sind nicht alleine und hilflos dem Sturm ausgeliefert. Der Sturm hat nicht das letzte Wort. Das ist vielleicht schon einmal der Anfang für ein „Ausreichend“: 

Diese Gewissheit, dass Gott mit im Boot ist, hat schon vielen Menschen in ihren Grenzerfahrungen das Gefühl vermittelt: Ich bin trotz allem gehalten: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal – fürchte ich kein Unglück – denn du bist bei mir!“

Ich wünsche uns allen, dass dieser Zuspruch uns in diesen stürmischen Tagen etwas Halt und Zuversicht vermittelt.

Seien Sie gesegnet! 

Ihr Seelsorger
Wolfgang Klimm

Pastor Wolfgang Klimm

Unser Seelsorger steht allen Bewohnerinnen und Bewohnern, den Angehörigen und Mitarbeitenden unabhängig von ihrer Konfession oder ihrer weltanschaulichen Prägung als Begleiter und Gesprächspartner zur Verfügung.

Nehmen Sie gerne Kontakt auf,
wenn Sie z. B.

  • Lebens- oder Glaubenshilfe suchen,
  • über Ihre Sorgen oder Ängste sprechen möchten,
  • ein Fürbitte- oder Segensgebet wünschen.

Sie sind herzlich zu den regelmäßig stattfindenden Andachten eingeladen.

Kontakt und Terminvereinbarung
mit Pastor Wolfgang Klimm
Telefon: 040 55425-371
E-Mail: klimm@elim-diakonie.de