Das Böse hat seine hässliche Fratze gezeigt, als jüdisches Leben am 07. Oktober grausam ausgelöscht wurde. Diese sinnlose Gewalt, die so viel unvorstellbares und entsetzliches Leid verursacht, schockiert und erschüttert uns zutiefst. Ungläubig nimmt man die Wellen wahr, die dieser terroristische Anschlag weltweit schlägt. Man traut seinen Augen und Ohren nicht, dass wieder antisemitische Parolen in Deutschland offen auf den Straßen gebrüllt oder Häuser mit dem Judenstern beschmiert werden. Neben dem Schmerz, der den Angehörigen und befreundeten Familien seit dem Massaker zusetzt, bricht nun auch der alte auf, „erinnert oder vererbt, das Trauma der Shoah. Jeder weitere Anschlag auf eine Synagoge, jede weitere antisemitische Verletzung wiederholt und vertieft die Verzweiflung, nirgends heimisch, nirgends sicher zu sein. Wir wissen alle nicht, was nun geschieht, wohin die Gewalt noch ausstrahlen und sich steigern wird, was aus den Verschleppten wird, wie die humanitäre Lage in Gaza weiter zerrüttet und zerstört wird. Aber wir wissen, dass es nicht gehen wird ohne Anerkennung der jüdischen Erfahrung der Schutzlosigkeit – und der historischen Ursachen dafür.“1
Als ELIM Diakonie haben wir uns in unserem Leitbild am Beispiel des barmherzigen Samariter dazu verpflichtet, den Stoff der Humanität zu weben, der uns alle als gleichwertige Personen verbindet, unabhängig von unserer Herkunft, unserer Religion, dem Geschlecht oder unseren Überzeugungen. Empathie kennt keine Lücken. Barmherzigkeit erweist sich nicht nur denen gegenüber, die so aussehen oder sprechen wie wir selbst. Es darf und kann nicht verhandelt werden, wer als Mensch zählt. Deshalb haben Antisemitismus bzw. jede Form von Rassismus keinen Platz in unserer ELIM Diakonie.
Was sich die Gewalttäter in Nahost wünschen, ist, dass der gesäte Hass sich weiter ausbreitet und wir uns von allen humanistischen Normen verabschieden.
Dieser von vielen angesichts der schlimmen Ereignisse geäußerte Hass hat mich an das bewegende Schicksal von Antoine Leiris erinnert. Er hat bei den islamistischen Anschlägen 2015 in Paris seine geliebte Frau und die Mutter seines 17-monatigen Sohnes verloren. Der Radiojournalist hat sich in einer Art offenen Brief an die Attentäter gewandt. Seine tagebuchartigen Einträge sind inzwischen als Buch mit dem Titel erschienen: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“.2
„Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Kindes. Aber ihr bekommt meinen Hass nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid und ich will es nicht wissen. Wenn dieser Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.
Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.
Ich habe sie heute Morgen gesehen. Endlich, nach Nächten und Tagen des Wartens. Sie war genauso schön wie am Freitagabend, als sie ausging, genauso schön wie damals, als ich mich vor mehr als zwölf Jahren hoffnungslos in sie verliebte. Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf, diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu, aber er wird von kurzer Dauer sein. Ich weiß, dass sie uns jeden Tag begleiten wird und dass wir uns in jenem Paradies der freien Seelen wiedersehen werden, zu dem ihr niemals Zutritt erhalten werdet.
Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde. Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern, ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht. Er ist gerade mal 17 Monate alt; er wird seinen Brei essen wie jeden Tag, dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen, indem er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen.“
Mir ist bewusst, dass die aktuellen Herausforderungen für die politischen Entscheidungsträger enorm kompliziert und komplex sind. Und dass es alles andere als einfach ist, in dieser und aus dieser Tragödie einen für alle beteiligten gangbaren Weg zu finden.
Was wir hier vor Ort aber auf jeden Fall tun können: Lassen Sie uns gemeinsam gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit und Rassismus in unserer ELIM Diakonie und in unserem persönlichen Umfeld kämpfen. Und uns einsetzen für offene Begegnungen und gegenseitigem Vertrauen.
Seien Sie in diesen anstrengenden Tagen und Zeiten herzlich gegrüßt,
Wolfgang Klimm
¹ Emcke, C.: „Die toten Winkel“; SZ Nr. 243 vom 21./22. Oktober 2023; S. 6
² Leiris, A: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“; München 2016
Unser Seelsorger steht allen Bewohnerinnen und Bewohnern, den Angehörigen und Mitarbeitenden unabhängig von ihrer Konfession oder ihrer weltanschaulichen Prägung als Begleiter und Gesprächspartner zur Verfügung.
Nehmen Sie gerne Kontakt auf,
wenn Sie z. B.
Sie sind herzlich zu den regelmäßig stattfindenden Andachten eingeladen.
Kontakt und Terminvereinbarung
mit Pastor Wolfgang Klimm
Telefon: 040 55425-371
E-Mail: klimm@elim-diakonie.de