Der November hat es in sich. Stichwort „November Blues“. Die Stimmung wird spürbar herunter gedimmt.
Der Arbeitsalltag gönnt uns keine Verschnaufpause. Große Lücken in der dünnen Personaldecke lassen sich aufgrund des Fachkräftemangels nicht schließen. Corona krönt das Ganze noch mit belastenden Arbeitsbedingungen.
In unseren Einrichtungen finden Gedenkgottesdienste für verstorbene Bewohnerinnen und Bewohner statt. Die Schatten des Todes machen sich breit.
In einem alten Gebet aus Psalm 102 scheint der Autor die dabei auftretenden Gefühle sehr gut zu kennen:
„Ich fühle mich zerschlagen, matt wie verdorrtes Gras.
Ich mag nicht einmal mehr etwas essen.
6Meine Stimme versagt vor lauter Stöhnen.
Nur noch Haut klebt an meinen Knochen.
7Ich fühle mich wie eine Eule in der Wüste.
Ich gleiche einem Steinkauz in Ruinen.
8Ich finde keinen Schlaf und klage
wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“
In dieser Stimmungslage lässt mich ein Buchtitel aufmerken: „Ziemlich gute Gründe am Leben zu bleiben“.
Der Autor Matt Haig erzählt sehr ehrlich, unterhaltsam und lehrreich von seiner Depression. Eine Depression kombiniert mit einer Angststörung. Das ist wohl eins der schwärzesten Löcher, in die man fallen kann. Das ist noch einmal eine unvorstellbare Zuspitzung des oben beschriebenen „November Blues“. Die Krankheit der Depression ist ein lebensbedrohlicher Sumpf.
Das Buch hat mich gefesselt. Hat mir unerwartet mitten im November ein Hoffnungsfenster geöffnet. Mir geholfen die Krankheit Depression besser zu verstehen. Betroffene besser zu verstehen.
Die folgenden Zeilen geben einen kleinen Einblick in den Stil und Inhalt des Buches:
„Warum Depression so schwer zu verstehen ist? Sie ist unsichtbar. Sie ist nicht »ein bisschen niedergeschlagen sein«. Sie ist das falsche Wort. Das Wort Depression erinnert an einen platten Reifen, an etwas, das ein Loch hat und sich nicht bewegt. Vielleicht fühlt sich Depression ohne Angststörung so an, aber Depression mit Angst gemischt ist alles andere als platt oder reglos. Wenn es am schlimmsten ist, wünschst du dir verzweifelt irgendein anderes Leiden, irgendwelche körperlichen Schmerzen, weil die Psyche unendlich ist und ihre Qualen genauso unendlich sein können.
Man kann depressiv und glücklich sein, genau wie man ein trockener Alkoholiker sein kann. Sie hat nicht immer einen erkennbaren Grund. Sie trifft Menschen – Millionäre, Menschen mit tollem Haar, glücklich verheiratete Menschen, frisch beförderte Menschen, Menschen, die Gitarre spielen, steppen oder Kartentricks können, Menschen, die in ihrem Leben noch keinen Pickel hatten, Menschen, deren Status-Updates überschwänglich glücklich klingen –, die von außen betrachtet keinen Grund zum Traurig sein haben. Sie ist selbst für die rätselhaft, die daran leiden.
Als ich krank wurde, verwandte ich zunächst viel Energie darauf, normal zu wirken. Oft wissen die Leute erst, dass einem etwas fehlt, wenn man es ihnen sagt, und über Depressionen redet man nicht gern, vor allem Männer nicht…
Nicht umsonst nehmen sich in Deutschland so viele Menschen das Leben. Selbstmord gehört zu den häufigsten Todesursachen bei Männern unter 35. Jedes Jahr nehmen sich eine Million Menschen das Leben. Zwischen zehn und zwanzig Millionen versuchen es jedes Jahr. Weltweit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann durch Selbstmord ums Leben kommt, dreimal höher als bei einer Frau.“
Was kann helfen?
„Wenn du Depressionen hast, bist du deshalb nicht mehr oder weniger Mann oder Frau oder Mensch, als hättest du Krebs, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder einen Autounfall. Was sollen wir also tun? Reden. Zuhören. Zum Reden ermuntern. Zum Zuhören ermuntern. Das Gespräch weiterführen. Die Augen offen halten, uns nach Leuten umsehen, die sich vielleicht am Gespräch beteiligen möchten. Wiederholen, immer und immer wieder, dass Depressionen nichts sind, das man „bekennt“, wofür man sich schämen muss, sondern eine menschliche Erfahrung. Eine Erfahrung, die Jungs, Mädchen, Männer, Frauen, Junge, Alte, schwarze, Weiße, Heteros, Schwule, Lesben, Arme und Reiche machen. Die Depression, das bist nicht du. Sie ist etwas, das dir passiert. Etwas, das häufig durch Reden besser wird. Durch Worte. Trost. Unterstützung. Ich habe über ein Jahrzehnt gebraucht, um offen über meine Erfahrungen zu reden, richtig zu reden, mit jedem. Und mir wurde schnell klar, dass Reden an sich schon eine Therapie ist. Wo man reden kann, ist Hoffnung.“ S. 48f
Das Buch „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ hat mir nicht nur ein tieferes Verständnis für die Krankheit der Depression vermittelt. Der Autor gibt auch noch jede Menge gute Tipps – für Betroffene und Angehörige.
Ich wünsche Ihnen viele kleine Lichtblicke und hilfreiche Ermutigungen mitten im November! Vielleicht auch mit den anderen lesenswerten Büchern, die Matt Haig geschrieben hat. Z.B. „Wie man die Zeit anhält“…aber das ist eine andere Geschichte…
Herzliche Grüße
Wolfgang Klimm
Unser Seelsorger steht allen Bewohnerinnen und Bewohnern, den Angehörigen und Mitarbeitenden unabhängig von ihrer Konfession oder ihrer weltanschaulichen Prägung als Begleiter und Gesprächspartner zur Verfügung.
Nehmen Sie gerne Kontakt auf,
wenn Sie z. B.
Sie sind herzlich zu den regelmäßig stattfindenden Andachten eingeladen.
Kontakt und Terminvereinbarung
mit Pastor Wolfgang Klimm
Telefon: 040 55425-371
E-Mail: klimm@elim-diakonie.de
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