Auf einen Espresso mit dem Seelsorger – März

Auf’n Espresso mit dem Seelsorger – März 2022

Wir haben zwei Jahre Corona hinter uns und sind noch mittendrin in einer unberechenbaren Pandemie. Ständig begleitet uns die Angst einander anzustecken. Unsere Beziehungen sind überschattet von der Möglichkeit, dass wir uns gegenseitig zu einer Bedrohung werden können. „Kommen Sie mir also bitte nicht zu nahe…“

Jetzt haben wir zu allem Elend auch noch Krieg in Europa. Die Generation unserer Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorencentren erinnert sich erneut mit Schrecken an die eigenen Erfahrungen aus Kindertagen, die Flucht aus der geliebten Heimat  oder der Bombenhagel und die dunklen Nächte im Keller. Die Nachkriegsgeneration ist jäh aus einem Wohlstandtraum und einer langen Friedenszeit in Deutschland aufgewacht.

Matthias Claudius hat im Jahre 1778 seinen Kummer darüber in einem Gedicht zum Ausdruck gebracht:

’s ist Krieg! s‘ ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
         Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
         Nicht schuld daran zu sein!

Durch die intensive Berichterstattung auf allen Kanälen bekommen wir schreckliche und herzzerreißende Bilder von menschlichen Schicksalen in der Ukraine in unsere (noch) warmen Wohnzimmer geliefert.

Wie gehen wir mit den dabei auftretenden verschiedenen Emotionen und vor allem unserer Angst um? Verbunden mit sorgenvollen Fragen, die durch unseren Kopf kreisen und unsere Aussichten eintrüben: „Was passiert, wenn der Krieg sich ausweitet? Was kommt noch alles auf uns zu?“ Diese Sorgen sollen uns vor größerer Angst „schützen“. Damit geben wir uns das Gefühl, etwas zu tun. Wir machen uns zumindest Gedanken. Das soll die Angst betäuben, sorgt aber für eine ständige innere Anspannung. Genauso wenig wird die Angst sich auflösen, wenn wir sie kleinreden oder versuchen zu ignorieren. Im Gegenteil. Das wäre ungefähr so sinnvoll, wie wenn wir versuchen würden, vor unserem Schatten davonzulaufen. 

Erwiesenermaßen kommen wir besser mit der Angst zurecht, wenn wir sie bewusst wahrnehmen. Sie lernen zu akzeptieren. Ja, in dieser Welt haben wir Angst. Das sind keine Tabletten gegen die Angst und kann sehr unangenehm sein. Aber so nehmen wir der Angst zumindest ein bisschen den Wind aus den Segeln und können gleichzeitig andere und erfreulichere Dinge in unserem Umfeld wahrnehmen. Der römische Stoiker Seneca sagte dazu vor über 200 Jahren: „Es ist wahrscheinlich, dass ein Übel eintreten wird; darum aber ist es nicht gleich wahr. Wie vieles ist unerwartet gekommen! Wie vieles Erwartete ist nie erschienen! Und wenn es auch wirklich bevorsteht, was nützt es, seinem Schmerz entgegenzulaufen? Du wirst ihn früh genug empfinden, unterdessen versprich dir Besseres!“¹

Wohl dem, der jemanden hat, mit dem er über seine Ängste sprechen kann. Der gehört und ernst genommen wird. In den Gebeten der Psalmen im ersten Testament finden sich viele SOS-Texte wie z.B. in Psalm 61: „Höre, Gott, mein Schreien! Gib acht auf mein Gebet! Vom Ende der Erde rufe ich zu dir, denn mein Herz ist in Angst; bring mich auf einen sicheren Felsen. Denn du bist meine Zuversicht, ein starker Turm vor meinen Feinden. Für immer möchte ich Gast sein in deinem Zelt. Unter deinen Flügeln will ich Schutz suchen wie in einem Versteck.“ Vielleicht sind diese Zeilen für uns eine Hilfestellung, unserer Angst Ausdruck zu verleihen.

Und da sind Menschen, die uns davon erzählen, wie sie es in schweren und dunklen Zeiten geschafft haben, nicht zu verzweifeln. Z.B. die Jüdin Rose Ausländer, die während der Nazi Zeit verfolgt wurde. Im Jahr 1944 emigrierte sie in die USA. Im Jahr 1965 ist sie nach Europa zurückgekehrt und hat noch 23 Jahre in Düsseldorf gelebt. In ihrem Gedicht „Noch bist du da“ findet sich die wunderschöne Einladung: „Wirf deine Angst in die Luft“.

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer (1901-1988)

Möge der Friede bald eine neue Chance bekommen. Mögen die um ihr Leben bangenden Menschen sich bald in Sicherheit wissen. Mögen die auseinandergerissenen Familien sich bald wieder in die Arme nehmen. Möge Gott dem Bösen Einhalt gebieten. Möge sein Friede unsere Herzen bewahren.

Herzlichst

Wolfgang Klimm

¹ Windscheid, L.: Besser fühlen, Hamburg 2021; S. 33ff

Pastor Wolfgang Klimm

Unser Seelsorger steht allen Bewohnerinnen und Bewohnern, den Angehörigen und Mitarbeitenden unabhängig von ihrer Konfession oder ihrer weltanschaulichen Prägung als Begleiter und Gesprächspartner zur Verfügung.

Nehmen Sie gerne Kontakt auf,
wenn Sie z. B.

  • Lebens- oder Glaubenshilfe suchen,
  • über Ihre Sorgen oder Ängste sprechen möchten,
  • ein Fürbitte- oder Segensgebet wünschen.

Sie sind herzlich zu den regelmäßig stattfindenden Andachten eingeladen.

Kontakt und Terminvereinbarung
mit Pastor Wolfgang Klimm
Telefon: 040 55425-371
E-Mail: klimm@elim-diakonie.de