Wie blicken Sie aktuell in die Zukunft? Auf die nächsten fünf Jahre? Auf 2023?
Für die politische oder wirtschaftliche Entwicklung wurden bisher immer mehr oder weniger eindeutige Prognosen abgegeben, die sich auf Statistiken und Wahrscheinlichkeitsrechnungen beriefen. Die Zukunft ist zu einer Art Rechenaufgabe geworden. Mit einer Orientierung an der Gegenwart bzw. den Erfahrungen der Vergangenheit. Harald Welzer bringt dies so auf den Punkt: „Zukunft wird behandelt als etwas wie Gegenwart plus X.“
Oder anders gesagt: „Hochrechnungen sagen die Zukunft voraus, sofern alles beim Alten bleibt.“ (Alexander Eilers)
Inzwischen wurde aber festgestellt, dass uns die Zukunft abhanden gekommen zu sein scheint. Wir unter einer Art Zukunftsatheismus bzw. Zukunftsvergessenheit leiden. Weil wir vor lauter Krisenmodus nur noch schwarzsehen. Das Vertrauen in die Zukunft scheint verschwunden und hält keine Verheißung mehr für uns bereit. Zukunft ist eher zu einer Bedrohung geworden.
Wie schaffen wir es trotzdem, diesen dunkel gewordenen Zukunftsraum zumindest so auszuleuchten, dass wir selbst motiviert sind, nach vorne zu gehen und vielleicht auch noch andere Menschen uns folgen?
Der Zukunftsforscher Matthias Horx schlägt „Weisheit“ vor. Eine Weisheit, die uns trotz vielfältiger Irritationen denk- und handlungsfähig bleiben lässt. Und zwar durch ein Zusammenspiel von Gelassenheit, Empathie und Voraussicht.
Dies kann uns dabei helfen, das Gelingende, Gelungene und Besser-Werdende auszumachen. Da dies selten spektakulär daherkommt, braucht es eine besondere Aufmerksamkeit. Denn oft findet Fortschritt in kleinen Schritten statt, die kaum wahrnehmbar sind. Weil die Welt nicht nur aus Gefahren und negativen Trends besteht. Auch wenn die Nachrichten und unsere „Negativitätsverzerrung“ (negativity bias) sich genau darauf konzentrieren. Weil schlecht stärker ist als gut.¹ Ja. Krisen sind Störungen, die unvermeidlich, aber auch Teil dieses Prozesses sind. Sie sind immer schrecklich, aber ihre Auswirkungen sind es oft nicht. Und auch in schrecklichen Krisen gibt es das Wunderbare, Hoffnungsvolle.
Was halten Sie von dem Vorschlag, dass wir nicht zu „Optimisten“ sondern zu „Possibilisten“ werden? Was ist der Unterschied? „Possibilisten sind Menschen, die ihre Hände aus der Hosentasche nehmen und handeln. Sie suchen nach Möglichkeitsräumen. Sie stellen sich der Realität und haben keine Angst vor Unsicherheiten. Sie haben nicht den Anspruch, für alles gleich eine Lösung zu haben, sondern vertrauen darauf, dass sich Dinge entwickeln und neue Potenziale entfalten. Sie übernehmen Verantwortung. Sie ignorieren das Negative nicht, sondern denken die Risiken mit. Sie vertrauen nicht blind darauf, dass sich die Dinge schon regeln werden, sondern wissen, dass sie Teil der Lösung sind. Possibilisten zeichnen ein Bild einer guten Zukunft und fragen, wie wir gemeinsam dorthin gelangen können. Sie nutzen die Logik des Möglichen und pflegen eine Haltung von Dankbarkeit.“²
Soll heißen: Lassen Sie uns einen Zukunfts-Realismus einüben: Jede Kraft erzeugt auch eine Anti-Kraft. Das Schlimme erzeugt eine Gegen-Bewegung. Im Kleinen verbirgt sich oft das Große, Wunderbare. Zukunft ist das, was wir in unseren Erwartungen aus ihr machen. Zukunft ist eine Entscheidung. Für die wir verantwortlich sind.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Brücke zu der aktuellen Advents- und Weihnachtszeit schlagen. Weil diese Zeit uns traditionell Lichtblicke in der Dunkelheit beschert. So ein Lichtstrahl leuchtete mir aus dem Adventskalender „Der andere Advent“ entgegen:
„Schau, die Welt endet immer irgendwo. Irgendwo ist die Sonne untergegangen. Irgendwo ist es völlig dunkel geworden. Irgendwo endete es mit der zugeschlagenen Tür, der zerschlagenen Hoffnung. Irgendwo endete es mit einer Zartheit, die dir das Herz brechen wird.
Aber hör zu, dieser Segen will alles sein außer verdrießlich. Er ist nicht gekommen um Verzweiflung zu säen.
Er ist ganz einfach hier weil es nichts gibt für das ein Segen besser passen würde als ein Ende, nichts was nach einem Segen verlangt als eine Welt, die auseinanderfällt.
Dieser Segen wird dich nicht bestimmen, wird dich nicht flicken, wird dich nicht in falscher Sicherheit wiegen; er wird dir nichts erzählen über ein sich öffnende Tür wenn eine andere sich schließt.
Er wird sich einfach an deine Seite setzen mitten in die Scherben und ganz sanft dein Gesicht in die Richtung drehen aus der das Licht kommen wird, sich versammeln über dir, wenn die Welt wieder neu beginnt.“ (Jan Richardson)
Mit diesem Licht möchte ich den Zukunftsraum ein kleines bisschen ausleuchten.
Und wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Blick in das neue Jahr und die kommende Zeit.
Herzliche Grüße!
Wolfgang Klimm
¹ Das merken Sie z.B. daran, dass ein Wort der Kritik Sie mehr verletzen kann, als ein Lob Ihnen Freude beschert. Und leider gilt auch das alte russische Sprichwort: „Ein Löffel Teer kann ein Fass Honig verderben, aber ein Löffel Honig hilft keinem Fass Teer.“ Bzw. das Leben muss jeden Tag aufs Neue gewinnen; dem Tod genügt ein einziger Sieg.
² Razavi, R.: „Die Magie der Tranformation“ Freiburg, 2022, S. 171
Unser Seelsorger steht allen Bewohnerinnen und Bewohnern, den Angehörigen und Mitarbeitenden unabhängig von ihrer Konfession oder ihrer weltanschaulichen Prägung als Begleiter und Gesprächspartner zur Verfügung.
Nehmen Sie gerne Kontakt auf,
wenn Sie z. B.
Sie sind herzlich zu den regelmäßig stattfindenden Andachten eingeladen.
Kontakt und Terminvereinbarung
mit Pastor Wolfgang Klimm
Telefon: 040 55425-371
E-Mail: klimm@elim-diakonie.de